DIE LEHREN DES AUFERSTANDENEN
BETRACHTUNGEN ÜBER DAS MYSTERIUM VON GOLGATHA
Den Haag, 13. April 1922
Dasjenige, worüber ich heute sprechen möchte, ist eine gewisse Seite des Mysteriums von Golgatha, über das ich ja öfter gerade in intimeren anthroposophischen Versammlungen gesprochen habe. Allein dasjenige, was zu sagen ist über dieses Mysterium von Golgatha, ist etwas so Ausgebreitetes, gehört einem so wichtigen und reichen Gebiete an, daß man immer neue und neue Seiten dieses größten Geheimnisses in der menschlichen Erdenentwickelung wird beleuchten müssen, um nur annähernd von den verschiedensten Seiten her sich zu nähern eben diesem Mysterium von Golgatha.
Man wird das Mysterium von Golgatha nur dann in der richtigen Weise würdigen, wenn man die ganze Menschheitsentwickelung, die vorangegangen ist diesem Mysterium von Golgatha, und die andere Menschheitsentwickelung, die nun schon nachgefolgt ist oder während des Restes der Erdenzeit nachfolgen wird, wenn man diese zwei Entwickelungsströmungen des menschlichen Erdendaseins sich vor das Seelenauge stellt.
Wir müssen uns eben durchaus klarmachen, daß, wenn man vom Anfange des Erdenwerdens spricht, das heißt von demjenigen Anfang, von dem man schon so sprechen kann, daß eine Art von Denkenwenn auch ein träumendes, ein träumendimaginatives Denken, aber doch eben eine Art von Denken schon vorhanden war, daß wenn man von diesen älteren Zeiten der menschheitlichen Erdenentwickelung spricht, man sich durchaus klar darüber sein muß: die Menschen hatten damals Fähigkeiten, durch die sie, wenn ich mich so ausdrücken darf, in Verkehr treten konnten mit Wesen einer übergeordneten Weltenordnung. Sie kennen ja aus meiner «Geheimwissenschaft» und aus anderen Darstellungen, welcher Art diese Wesen der höheren Hierarchien sind. Heute ist es ja für das gewöhnliche Bewußtsein des Menschen so, daß er eigentlich nicht viel weiß von diesen Wesenheiten der höheren Hierarchien.
Gewissermaßen ist sein Verkehr mit ihnen abgeschnitten. Das war nicht so in den älteren Zeiten der Menschheitsentwickelung. Es wäre natürlich falsch, wenn man sich vorstellen wollte, daß die Begegnung mit einem solchen Wesen der höheren Hierarchien in diesen alten Zeiten etwa so war, wIe wenn sich heute zwei Menschen begegnen, die im physischen Leibe verkörpert sind. So war das natürlich nicht. Es war ein ganz anderer Verkehr. Man konnte eben auch nur mit geistigen Organen auffassen, was diese Wesenheiten in der irdischen Ursprache dein Menschen mitteilen. Und dasjenige, was diese Wesenheiten dem Menschen mitteilen konnten, es waren gewaltige Geheimnisse des Daseins. Es waren Geheimnisse des Daseins, welche in das menschliche Gemüt der damaligen Zeit hineinflossen unU in dem Menschen das Bewußtsein hervorriefen: Nach oben hin, gewissermaßen nach jener Seite hin, nach der wir heute nur Wolken und Sterne sehen, steht das irdische Dasein in Zusammenhang mit Götterwelten. Mitglieder dieser Götterwelten stiegen eben herunter auf geistige Weise zu den Erdenmenschen und offenbarten sich ihnen so, d,aß die Menschen dasjenige, was man Urweisheit nennen kann, durch die Vermittelung dieser überirdischen Wesenheiten erhielten. Innerhalb dieser Offenbarungen der Urweisheit, welche diesen Wesenheiten entstammt, war eben unendlich viel von dem enthalten, was die Menschen in ihrem Erdenleben von sich aus selber nicht hätten ergründen können. Im Anfange des Erdenwerdens, so wie ich es hier meine, konnten ja die Menschen eigentlich herzlich wenig von sich aus ergründen. Dasjenige, was in ihnen als eine Anschauung, ein anschauendes Wissen entzündet wurde, das erhielten sie eben von ihren göttlichen Lehrern.
Diese göttUchen Lehren, sie enthielten viel, allein sie enthielten eines nicht, das für die damaligen Menschen ja auch nicht notwendig war, das aber für die gegenwärtige Menschheit zu den wichtigsten Bestandstücken der Erkenntnis gehört. Die göttlichen Lehrer sprachen den Menschen von den allerverschiedensten Wahrheiten und Erkenntnissen, aber sie sprachen ihnen niemals von dem, was eigentlich zugrunde liegt den beiden Grenztatsachen des menschlichen Erdenlebens, sie sprachen ihnen niemals von Geburt und Tod.
Es kann natürlich heute in der kurzen Zeit nicht meine Aufgabe sein, von alledem zu sprechen vieles davon wissen Sie ja , von dem die göttlichen Lehrer dem Menschengeschlecht in jenen alten Zeiten gesprochen haben. Aber ich möchte eben scharf betonen, daß innerhalb all dieser Lehren keine enthalten waren über Geburt und Tod, und zwar aus dem Grunde, weil ja die Menschen jener älteren Zeiten und noch lange im Verlauf der menschlichen Erdenentwickelung die Weisheiten über Geburt und Tod nicht zu wissen brauchten. Das ganze Bewußtsein der Menschheit hat sich ja verändert im Laufe der Erdenentwickelung. Und obzwar wir niemals gleichstellen dürfen das tierische Bewußtsein von heute, auch das höhere tierische Bewußtsein von heute mit demjenigen, was das menschliche Bewußtsein in primitiven alten Zeiten war, so können wir uns doch vielleicht Anhaltspunkte vor Augen stellen aus dem heutigen Tierleben, das nur eben unter dem Niveau des Menschlichen liegt, während das Anfangsleben des primitiven Menschen sogar in einer gewissen Weise über dem Niveau des heutigen Menschlichen lag, trotzdem er gegenüber dem heutigen Menschen eine Art tierische Gestaltung hatte. Wenn Sie das Tier heute betrachten mit unbefangenem Blicke, so werden Sie sich sagen: dieses Tier hat kein Interesse, weil es im mittleren Lebenszustande ist, an Geburt und Tod. Wenn wir von der Geburt absehen, obzwar es auch da ja ersichtlich ist, brauchen wir nur daran zu denken, mit welcher Sorglosigkeit, mit welchem Uninteresse, mit welcher Interesse losigkeit das Tier dem Tode entgegenlebt. Das Tier läßt eben den Tod über sich ergehen, nimmt diese Verwandlung seines Daseins, das heißt den Ubergang vom individuellen Dasein zum GruppenseelenDasein einfach hin, ohne einen so tiefen Einschnitt in das Leben dadurch zu gewahren, wie das beim menschlichen Wesen der Fall ist.
Nun, wie gesagt, in gewisser Beziehung stand der Urmensch der Erde, trotz seiner tierartigen Gestaltung, über dem Tier, er hatte ein instinktives Hellsehen, und durch dieses instinktive Hellsehen konnte er auch wiederum in Verkehr treten mit seinen göttlichen Lehrern. Aber er hatte ebenso wie das heutige Tier kein Interesse an dem Herankommen des Todes. Wenn ich mich so ausdrücken darf: Er dachte eben nicht daran, den Tod besonders ins Auge zu fassen. Warum auch? Er hatte ja in sich ein deutliches Erlebnis noch in seinem instinktiven Hellsehen von dem, was ihm zurückgeblieben war, nachdem er durch die Geburt aus der geistigen Welt heruntergestiegen ist in die physische Welt. Erkannte das in seiner eigenen Wesenheit, was 1n seinen physischen Leib eingezogen war, und da er das kannte, da er, wenn ich so sagen darf, genau wußte: in mir lebt ein Ewiges , so interessierte ihn nicht jene Verwandlung, die sich mit dem Tode vollzieht. Sie kam ihm höchstens vor, wie das Ablegen der Haut der Schlange vorkommen muß, wenn sie eben diese abgelegte Haut wieder durch eine neue ersetzen soll. Es war etwas Selbstverständlicheres und nicht so vehement ins menschliche Leben Einschlagendes, was da als Eindruck vorlag von Geburt und Tod. Die Menschen hatten eben noch eine starke Anschauung von dem Seelischen.
Heute haben die Menschen keine Anschauung von dem Seelischen. Heute ist kaum ein stark bemerkbarer Übergang vorhanden zwischen Schlafen und Wachen im Traume. Der Traum liegt ja mit seinen Bildern durchaus heute auf der Seite des Schlafzustandes, er ist noch ein halber Schlaf, während dasjenige, was in traumartigen Bildern die Urmenschen erhalten hatten, eigentlich ins Wachen hineinfiel, ein noch nicht voll gestaltetes Wachen war. Der Mensch wußte: das, was er in diesen Traumbildern erhielt, ist Wirklichkeit. So fühlte und erlebte er sein Seelisches. Und er konnte gar nicht in der Stärke, mit der es heute geschehen muß, die Fragen aufwerfen nach Geburt und Tod. Dieser Zustand war in den ältesten Zeiten der menschlichen Erden entwickelung ganz besonders stark, aber er nahm immer mehr und mehr ab. Wenn ich es so ausdrücken darf: Die Menschen bemerkten nach und nach immer mehr und mehr, daß das Sterben einen starken Einschnitt macht in das menschliche Leben, auch in das seelische Leben. Und von da aus wiederum mußten sie den Blick wenden auf das Geborenwerden. Das Erdenleben nahm gewissermaßen mit Bezug auf diesen Unterschied einen Charakter an, der für die Menschen immer wichtiger und wichtiger wurde, weil ihnen daneben immer mehr und mehr das Drinnenleben im seelischen Dasein verblaßte, weil sie sich dadurch immer mehr und mehr herausgehoben fühlten aus dem seelischgeistigen Dasein, während sie auf der Erde weilten. Und das wurde immer stärker und stärker, je mehr die Menschen dem Mysterium von Golgatha entgegenlebten. Bei den Griechen war das ja schon so stark, daß sie überhaupt das Leben außerhalb des physischen Leibes wie ein Schattenleben für den Menschen empfanden, daß sie mit einer gewissen Tragik hinschauten auf den Tod. Aber dasjenige, was die Menschen hatten als Lehren ihrer ältesten göttlichen Lehrer, das verbreitete sich eben nicht über das Geborenwerden und das Sterben. Und die Menschen waren vor dem Mysterium von Golgatha der Gefahr ausgesetzt, daß Erlebnisse eintreten sollten in ihr Erdenleben, daß die Auffassung, die Anschauung von Erlebnissen hereintreten sollte in ihr Erdenbewußtsein Geburt und Tod , die sie nicht verstanden, die ihnen wie etwas ganz Unbekanntes waren.
Nun stellen wir uns vor, es wären zur Zeit des Mysteriums von Golgatha jene älteren, göttlichen Lehrer der Menschheit herabgestiegen, sie hätten sich vielleicht einigen, durch die Mysterien besonders vorbereiteten Schülern oder Lehrern der Menschheit offenbaren können, sie hätten den Umfang der alten göttlichen Weisheit, die ja tatsächlich in die Urweisheit eingeflossen ist, vorbereiteten Mysterienpriestern mitteilen können: innerhalb des ganzen, weiten Umfanges dieser Lehren wäre nichts gewesen über Geburt und Tod. Das Todesrätsel wäre gar nicht innerhalb dieser zu offenbarenden göttlichen Weisheit her angebracht worden an die Menschen, auch in den Mysterien nicht, und draußen im Erdenleben wäre für die Menschen etwas beobachtbar gewesen das Geborenwerden und das Sterben , was für sie wichtig, von fundamentalem Interesse gewesen wäre, und die Götter hätten ihnen nichts darüber gesagt! Warum nicht?
Ja, auf diese Sache müssen Sie schon mit einer gewissen Vorurteilslosigkeit schauen, müssen manche von den Vorstellungen, die einfach heute traditionelle Religion geworden sind, ablegen, und müssen sich klar werden über Dinge, wie das Folgende: Diejenigen Wesen der höheren Hierarchien, welche die göttlichen Lehrer des Urmenschen waren, die hatten ja in ihren Welten Geburt und Tod niemals erlebt. Denn Geburt und Tod in der Form, wie sie auf der Erde erlebt werden, wer den eben nur auf der Erde erlebt und zwar nur vom Menschen auf der Erde erlebt. Der Tod des Tieres und der Tod der Pflanze sind etwas ganz anderes als der Tod des Menschen. Und in den Götterwelten, in denen die ersten großen Lehrer der menschlichen Entwickelung lebten, da gibt es nicht Geburt und Tod, da gibt es nur Verwandlung, Metamorphose von einem Dasein in das andere. So daß ein innerliches Verständnis man muß es so charakterisieren für das Sterben und Geborenwerden bei diesen göttlichen Lehrern gar nicht vorhanden gewesen ist. Und zu diesen göttlichen Lehrern gehört die ganze Schar derjenigen, welche in einem Zusammenhang standen mit der JahveWesenheit, in Zusammenhang standen mit den BodhisattvaWesenheiten, mit all den älteren Begründern von menschlichen Weltanschauungen. Machen Sie sich nur einmal klar, wie zum Beispiel gerade im Alten Testament mit einer gewissen Tragik das Todesgeheimnis man kann es greifen immer mehr und mehr vor den Menschen hintritt, und wie eigentlich all dasjenige, was noch als Lehre im Alten Testament übermittelt wird, dem Menschen keinen genügenden, namentlich keinen inneren Aufschluß über den Tod gibt. So daß, wenn nichts an deres geschehen wäre zur Zeit des Mysteriums von Golgatha, als was im Bereiche der Erde und den mit der Erde zusammenhängenden Über weIten vor dem Mysterium von Golgatha geschehen ist, wenn dieses nicht gekommen wäre, die Menschen in ihrer Erdenentwickelung vor einer furchtbaren Lage gestanden hätten: sie hätten erlebt auf der Erde die Übergänge von Geburt und Tod, die jetzt sich anders darstellten als eine bloße Metamorphose, die jetzt sich als schroffen Übergang darstellten im gesamten Leben der Menschen, und sie hätten nichts erfahren können von der Bedeutung des Todes und der Geburt im menschlichen Erdenleben. Damit in die Menschheit hinein allmählich auch Lehren haben kommen können über Geburt und Tod, mußte nach und nach sich dasjenige Wesen ins Erdenleben einleben, das wir als den Christus bezeichnen, der ja angehört denjenigen Welten, aus denen auch die älteren großen Lehrer gekommen sind, der aber aus dem Ratschluß dieser Götterwelten heraus sich ein anderes Schicksal auserwählte als die anderen Wesenheiten der mit der Erde zusammenhängenden Götterhierarchien. Er fügte sich gewissermaßen dem göttlichen Ratschluß höherer Welten, in einem Erdenleibe sich zu verkörpern und mit der eigenen göttlichen Seele durch Erdengeburt und Erdentod hindurchzugehen.
Sie sehen also: Dasjenige, was mit dem Mysterium von Golgatha geschehen ist, das ist nicht bloß eine innere menschliche oder innere irdische Angelegenheit, das ist zugleich eine Götterangelegenheit. Durch dasjenige, was auf Golgatha geschehen ist, haben die Götter den Tod und das Geburtsgeheimnis der Erde erst innerlich kennengelernt, denn sie haben es nicht früher mitgemacht. So daß wir das Bedeutsame vorliegen haben, daß ein göttliches Wesen den Entschluß gefaßt hat, durch Menschenschicksal auf diesem Gebiete zu gehen, um mit dem Menschen gleiche Erlebnisse des Irdischen, gleiche Schicksale zu haben.
Nun, von dem Mysterium von Golgatha ist den Menschen ja man cherlei bekannt geworden. Eine Tradition ist da, die Evangelien sind da, das ganze Neue Testament ist da, und die heutige Menschheit nähert sich ja vorzugsweise dem Mysterium von Golgatha dadurch, daß sie eben durch das Neue Testament und durch die heute mögliche Er klärung des Neuen Testamentes hindurchgeht. Aber man bekommt da eigentlich zunächst, so wie die Erklärung des Neuen Testamentes heute getrieben wird, sehr wenig wirkliche Einsichten in das Mysterium von Golgatha. Es ist notwendig, daß die heutige Menschheit durch diese auf äußerliche Art zu erlangende Erkenntnis hindurchgeht, aber es ist eben nur eine äußerliche Erkenntnis. Man weiß heute namentlich gar nicht, wie ganz anders die Menschen zurückgeschaut haben in den ersten Jahrhunderten nach dem Mysterium von Golgatha, wie ganz anders diejenigen, die eingeweiht wurden in dieses Mysterium von Golgatha, zurückgeschaut haben zu diesem Mysterium von Golgatha, als die späteren das konnten, weil eben in der Zeit des Mysteriums von Golgatha wenn auch alles das geschehen ist, was ich auseinandergesetzt habe doch noch Reste eines alten, instinktiven Hellsehens bei einzelnen Menschen vorhanden waren; Reste allerdings nur, aber sie waren vorhanden, diese Reste, durch die man in ganz anderer Weise zurückschauen konnte bis zum vierten nachchristlichen Jahrhundert zu diesem Mysterium von Golgatha als später. Es ist nicht umsonst, daß diejenigen, die als Lehrer dann aufgetreten sind man kann das, obwohl sehr mangelhaft nur, aber doch noch etwas konstatieren aus den geschichtlichen Überlieferungen der ältesten sogenannten Kirchenväter und christlichen Lehrer , mehr Wert als auf alle schriftlichen Überlieferungen darauf gelegt haben, daß sie die Kunde von dem Christus JesusWandel empfangen haben von solchen Lehrern, die ihn noch von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, solchen, die wiederum die Schüler waren von Apostelschülern selber noch in den ältesten Zeiten, oder eben die Schüler von Schülern der Apostelschüler und so weiter. Die Sache ging eben bis in das vierte nachchristliche Jahrhundert, und so berief man sich darauf, daß überall eben noch ein lebendiger Zusammenhang war derjenigen, die auch noch im vierten nachchristlichen Jahrhundert lehrten. Wie gesagt, die geschichtlichen Dokumente sind größtenteils ausgetilgt, nur derjenige, der sie aufmerksam studiert, kann noch auf äußerliche Weise darauf kommen, wie Wert darauf gelegt worden ist: ich habe einen Lehrer gehabt, der hat einen Lehrer gehabt und so weiter, und an das Ende der Reihe stellte man eben noch einen Apostel, der noch den Herrn selber von Angesicht zu Angesicht geschaut hat.
Schon von dem ist außerordentlich viel verlorengegangen. Aber noch mehr ist verlorengegangen von den eigentlichen esoterischen Weistümern, die immerhin noch vorhanden waren, dank der Reste der alten, hellsichtigen Einsichten, in den ersten vier christlichen Jahrhunderten. Verlorengegangen für die äußere Tradition ist nahezu alles, was man Immerhin damals gewußt hat über den auferstandenen Christus, über denjenigen Christus, der durch das Mysterium von Golgatha durchgegangen ist, und dann in einem Geistleib, so wie die älteren Lehrer bei der Urmenschheit, einzelne der auserwählten Schüler nach seiner Auferstehung unterrichtet hat. Es wird höchstens durch die Evangelien, aber auch da in notdürftiger Weise, bei der Begegnung des Christus Jesus mit den Jüngern, die nach Emmaus gingen und so weiter, angedeutet, wie wichtig die Lehren waren, die der Auferstandene seinen Jüngern gegeben hat. Und schließlich ist auch das PaulusErlebnis bei Damaskus von Paulus selbst gemeint als eine Unterweisung, die der Auferstandene ihm gegeben hat, wodurch dann aus dem Saulus ein Paulus geworden ist. Man hat eben in jenen älteren Zeiten durchaus ein Bewußtsein davon gehabt, daß der auferstandene Christus Jesus den Menschen ganz besondere Mysterien mitzuteilen gehabt habe. Es lag ja nur an den Menschen, daß sie sie später zunächst nicht haben konnten, diese Mitteilungen. Die Menschen mußten jene Seelenkräfte ausbilden, die dann zum Gebrauche der menschlichen Freiheit und des menschlichen Intellekts wurden. Besonders stark tritt das auf seit dem fünfzehnten Jahrhundert, vorbereitet wurde es aber schon seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert.
Die Frage muß nun entstehen: Welches war denn der Inhalt der Lehren, die der auferstandene Christus seinen auserwählten Schülern geben konnte? Erschienen war er ihnen ja auf dieselbe Weise, auf welche die göttlichen Lehrer der Urmenschheit erschienen waren. Aber sagen konnte er ihnen jetzt, wenn ich es so ausdrücken darf, in der Göttersprache dasjenige, was er erlebt hatte, und was seine anderen Göttergenossen ja nicht erlebt hatten, sagen konnte er ihnen etwas von seinem göttlichen Gesichtspunkte aus über das Geheimnis der Geburt und des Todes. Beibringen konnte er ihnen, daß zwar für den Erden menschen in der Zukunft ein solches tagwachendes Bewußtsein eintreten werde, das das EwigSeelische im Menschenleben nicht unmittelbar wahrnehmen kann und das ausgelöscht ist im Schlafe, so daß auch im Schlafe dieses EwigSeelische nicht vor das Seelenauge selbst tritt, aber aufmerksam konnte er machen darauf, daß es möglich ist, das Mysterium von Golgatha in die menschliche Anschauung hereinzubeziehen. Klarmachen konnte er ihnen das, was ich etwa in die folgenden Worte kleiden möchte. Es sind schwache, stammelnde Worte, in die ich es kleiden kann, weil unsere Sprachen mehr nicht hergeben, aber ich will versuchen, es in schwache stammelnde Worte zu kleiden.
Der menschliche Leib ist nach und nach so dicht geworden, die Todeskräfte sind in ihm so stark geworden, daß der Mensch zwar nun seinen Intellekt und seine Freiheit ausbilden kann; das kann man aber nur in einem Leben, das deutlich durch den Tod geht, in dem der Tod einen deutlichen Einschnitt bildet, in dem ausgelöscht ist während des Wachbewußtseins der Hinblick auf das EwigSeelische. Aber aufnehmen könnt Ihr in Eure Seele eine gewisse Weisheit: das ist die Weisheit, daß sich durch das Mysterium von Golgatha in meiner eigenen Wesenheit so sagte der göttliche Lehrer, der Christus zu seinen eingeweihten Schülern etwas vollzogen hat, mit dem Ihr Euch selber erfüllen könnt, wenn Ihr Euch nur aufschwingen könnt zu der Einsicht, daß der Christus aus außerirdischen Sphären heruntergekommen ist zu den Erdenmenschen, wenn Ihr Euch nur aufschwingen könnt zu der Anschauung, daß es auf Erden etwas gibt, was nicht mit den Erdenmitteln angeschaut werden kann, was nur mit höheren Mitteln als den Erdenmitteln angeschaut werden kann; wenn Ihr das Mysterium von Golgatha als Götterereignis, hereingestellt in das Erdenleben, anschauen könnt, wenn Ihr anschauen könnt, daß ein Gott durch das Mysterium von Golgatha durchgegangen ist. Ihr könnt durch alles andere, was sich auf der Erde vollzieht, irdische Weisheit erringen. Die würde Euch nichts nützen, um den Tod auf menschliche Art zu verstehen, würde Euch nur dann nützen, wenn Ihr Euch ebenso wie die älteren Menschen nicht mehr für den Tod in intensiver Weise interessieren könntet. Da Ihr Euch aber dafür interessieren müßt, so müßt Ihr in Eure Einsicht eine Kraft aufnehmen, die stärker ist als alle ErdenEinsichtskraft, die so stark ist, daß sie sich sagen kann: Mit dem Mysterium von Golgatha ist etwas geschehen, das alle ErdenNaturgesetze zerbrochen hat. Wenn Ihr nur dasjenige in Euern Glauben aufnehmen könnt, was irdische Naturgesetze sind, so werdet Ihr den Tod zwar sehen können, aber Ihr werdet ihn niemals in seiner Bedeutung für das menschliche Leben erfassen können. Wenn Ihr Euch aber auf schwingen könnt zu der Einsicht, daß die Erde einen Sinn erst damit bekommen hat, daß in der Mitte der Erdenentwickelung mit dem Mysterium von Golgatha etwas Göttliches vorgegangen ist, was nicht mit irdischen Einsichtsmitteln verstanden werden kann, dann bereitet Ihr daniit eine besondere Weisheitskraft und die Weisheitskraft ist ja dasselbe wie Glaubenskraft , eine besondere PistisSophiaKraft, eine GlaubensWeisheitskraft. Denn es ist eine starke Kraft der Seele, wenn man sagt: Ich glaube, ich weiß durch den Glauben dasjenige, was ich niemals Init Erdenmitteln glauben und wissen kann. Es ist eine stärkere Kraft, als wenn ich nur mir zuschriebe zu wissen dasjenige, was mit Erdenmitteln ergründet werden kann. Der Mensch ist schwach und würde er auch alle Wissenschaft der Erde bekommen , der nur das festzuhalten weiß in seiner Weisheit, was mit Erdenmitteln festgehalten werden kann. Derjenige Mensch muß eine viel größere innere Aktivität entwickeln, der zugeben will, daß Überirdisches im Irdischen lebt.
Eine Anspornung, eine solche innere Aktivität zu entwickeln, liegt in dem Hinblicken auf das Mysterium von Golgatha. Und immer wieder in neuen Variationen wurde diese Lehre, daß ein Gott durch Menschenschicksale gegangen ist weil die Götter früher Menschenschicksale in ihrer eigenen Sphäre nicht erlebt haben und sich durch diese Menschenschicksale mit dem Erdenschicksal verbunden hat, im mer wieder und wieder wurde dies den ursprünglichen Schülern von dem auferstandenen Christus verkündigt. Und eine große Gewalt übte das aus. Machen Sie sich nur einmal klar, was das für eine Gewalt ausüben kann, machen Sie es sich aus den Verhältnissen von heute klar. Man stellt einen geringeren Anspruch an einen Menschen, der alles das begreifen kann, was er in seinem Denken sich herausgeholt hat aus den irdischen Verhältnissen und auch aus den traditionellen religiösen Vorstellungen, die gewöhnlich zugegeben werden, als an einen solchen Menschen, dem man zumutet, sich mit seiner Einsicht aufzuschwingen zum Erfassen dessen, daß gewisse Götterkategorien eine Weisheit vom Tode und von der Geburt bis zum Mysterium von Golgatha gar nicht gehabt haben, sondern selbst sich da erst diese Weisheit zum Heile der Menschheit angeeignet haben. Es gehört eine gewisse Kraft dazu, um so könnte man sagen sich hineinzumischen in die göttliche Weisheit. Es gehört ja wahrhaftig gar keine besondere Kraft dazu, sich aus irgendeinem Katechismus vortradieren zu lassen: Gott ist allwissend, allmächtig, allgegenwärtig und so weiter. Man braucht vor alles nur das Wörtchen «all» zu stellen, und man hat dann die Definition des Göttlichen, aber in möglichst nebulosem Zustande, fertig.
Es wagen die Menschen heute nicht, wenn ich so sagen darf, in Götterweisheit sich einzumischen. Das muß aber geschehen. Und eine solche Götterweisheit ist eben die, welche die Götter selber sich angeeignet haben dadurch, daß einer der ihrigen durch Menschengeburt und Menschentod durchgegangen ist. Und daß das als Geheimnis anvertraut worden ist den ersten Schülern, das war das ungeheuer Wichtige. Und das weitere ungeheuer Wichtige, das sich daran schloß, das ist das andere, daß nämlich klargemacht wurde diesen Schülern: Ja, im Menschen lebte einstmals die Kraft, Einsichten zu haben von dem Ewigen seiner Seele selbst.
Diese Einsichten, diese eigentlichen Einsichten in das Ewige der Menschenseele, man kann sie niemals durch das Hirnwissen bekommen, das heißt durch dasjenige intellektuelle, denkerische Wissen, das sich des Gehirns als Instrument bedient, man kann sie nicht einmal in Wirklichkeit bekommen, wenn einem nicht, wie den älteren Menschen, die Natur zu Hilfe kommt durch dasjenige Wissen, das noch durch eine besondere Ausbildung des rhythmischen Menschensystems erlangt wird. Der Joga erlangte ja viel, als ihm das alte instinktive Hellsehen noch beistand, als die letzten instinktiven Hellseher noch Joga ausübten. Der heutige Morgenländer, der Inder, nach dem heute in so phantastischer Weise zahlreiche Abendländer schauen, erlangt ja, wenn er seine Übungen macht, lange nicht dasjenige, was eine wirkliche An schauung des ewigen Wesens der Menschenseele ist. Er lebt zum größten Teil in Illusionen dadurch, daß er vorübergehend etwas erlebt,wenn es auch etwas Elementares für das Erdenleben ist, und daß er im übrigen aus seinen heiligen Büchern etwas hineininterpretiert in das Erlebte. Ein wirkliches Wissen, ein gründliches Wissen, ein fundamen ales Wissen von dem Göttlichen der Menschenseele kann ja nur erlangt werden auf zweifache Weise. Es kann erlangt werden entweder so, wie es die Urmenschheit erlangt hat, oder so, wie es der Mensch wiederum erlangen kann auf eine viel geistigere Weise: durch intuitives Wissen, durch dasjenige Wissen, das sich aufbaut auf imaginativer, inspirierter Erkenntnis und dann gelangt bis zur intuitiven Erkenntnis. Warum?
Nun, in dem, was menschliches NervenSinnessystem ist, ist ja während des Erdenlebens ausgeflossen der denkerische Teil der Seele, er ist nicht mehr für sich da, er hat dieses plastische Gebilde gebildet und ist nicht mehr für sich da. Und im rhythmischen System ist er nur zur Hälfte da. Man würde daran also höchstens Anhaltspunkte gewinnen, aus denen man weiter schließen könnte. Erst im Stoffwechselsystem, diesem Materialistischsten des Erdenlebens, ist verborgen der eigentliche ewige Teil der Menschenseele. Was hier auf der Erde als das Stofflichste angesehen wird, was im Stoffwechselsystem lebt, das ist zwar nach außen hin das Stofflichste, aber weil es das Stofflichste ist, bleibt von ihm getrennt das Geistige. Von dem anderen Stofflichen, dem Gehirn und dem rhythmischen System wird das Geistige aufgesogen, absorbiert, es ist nicht da. Bei dem GrobStofflichen ist es da. Nur muß der Mensch mit diesem GrobStofflichen sehen, wahrnehmen, schauen können. Das war bei der Urmenschheit vorhanden und ist heute zwar nicht erstrebenswert, aber im krankhaften Zustand zuweilen noch vorhanden. Die wenigsten Menschen wissen zum Beispiel, daß das Geheimnis des Nietzscheschen ZarathustraStiles darauf beruht, daß er gewisse Stoffe, Gifte zu sich genommen hat, und diese Gifte in ihm den eigentümlichen Rhythmus, den eigentümlichen Stil des «Zarathustra» hervorgebracht haben. In Nietzsche dachte ja eine ganz bestimmte Stofflichkeit. Das ist natürlich etwas Krankhaftes, wenn es auch in gewisser Beziehung wieder etwas Großartiges ist. Über diese Dinge darf man aber ebensowenig Illusionen haben, wenn man sie verstehen will, wie man über das Entgegengesetzte, über Intuition und so weiter sich Illusionen machen darf. Man muß sich schon klar darüber sein, was es bedeutet, daß Nietzsche gewisse Gifte zu sich nahm was ihm nicht nachgemacht werden darf , die einfach im menschlichen Organismus so wirken, daß sie zu einer Ätherizität, zu einer ätherischen Art des Bestehens im menschlichen Organismus führen, daß sie durchsprühen das Denksystem und dadurch hervorrufen dasjenige, was wir verfolgen können in Nietzsches «Zarathustra». Die Intuitionen machen sich fähig, das GeistigSeelische abgesondert vom Stoffe als solches wahrzunehmen. Da wirkt nichts Stoffliches mehr, wo diese Intuition geschildert wird wie in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder in der «Geheimwissenschaft». Es sind die zwei entgegengesetzten Pole.
Aber in jenen Mysterien, in die der auferstandene Christus hineingesprochen hat, da wußte man noch: Es war einmal vorhanden beim Menschen ein höchstes Stoffwissen, Stoffwechselwissen. Nicht mehr auf dieselbe Art, wie es die Urmenschheit getan hat, auch nicht auf degenerierte Art, wie es dann die HaschischEsser und andere getan haben, um aus den Wirkungen des Stofflichen heraus Erkenntnisse zu gewinnen, die man ohne dieses nicht gewinnen kann, nicht auf diese Art wollte man für eine gewisse Sache das alte Stoffeswissen auferwecken, wohl aber auf eine andere Art: dadurch, daß man einhüllte in Kultus, in bestimmte mantrische Formeln einhüllte vor allen Dingen in die ganze Struktur des Mysteriums des Offertoriums, des Opfers, der Transsubstantiation, der Kommunion, daß man einhüllte in diese Strukturformen das Mysterium von Goigatha, dem Menschen das Abendmahl reichte als Brot und Wein. Nicht indem man ihm Gift gab, aber indem man ihm das Abendmahl reichte und erst dieses Abendmahl einhüllte in dasjenige, was ausgeht von den mantrischen Formeln des Meßopfers, und ausgeht von dem, was in der vierfachen Gliederung der Messe Evangelium, Opferung, Wandlung und Kommunion liegt. Denn nach der Kommunion, nachdem der vierte Teil des Meßopfers vorbei ist, sollte ja stattfinden die eigentliche Kommunion der Gläubigen, und man wollte wenigstens einen Anhaltspunkt geben dafür, daß wiedererlangt werden muß ein Wissen, welches hinführt zu dem, wozu das alte Stoffwechselwissen in instinktiver Art hingeführt hat. Ja, dieses Stoffwechselwissen, die Menschen können sich heute nur schwer einen Begriff davon machen, weil sie nämlich keine Ahnung davon haben, wie viel zum Beispiel ein Vogel wenn auch nicht in intellektualistischer, abstrakter, verstandesmäßiger Form mehr weiß als ein Mensch, wie viel auch ein Kamel sogar mehr weiß als ein Mensch, ein Tier, das ganz im Stoffwechsel drinnen lebt.
Es ist nur ein dumpfes Wissen, ein Traumw1ssen. Degenerierung desjenigen, was der Urmensch in seinem Stoffwechsel hatte, ist heute vorhanden. Aber das Altarsakrament ist eben durchaus als Hinlenkung gedacht, aus den ersten christlichen Lehren als Hinlenkung gedacht darauf, daß wieder zu erringen ist ein Wissen von dem Ewigen in der Menschenseele.
Dazumal, als der durch den Tod gegangene Christus seine eingeweihten Schüler lehrte, da konnten die Menschen von sich selbst aus zu einem solchen Wissen nicht kommen. Er hat es sie aber gelehrt. Und in den vier ersten christlichen Jahrhunderten war dieses Wissen In einer gewissen Weise noch lebendig. Dann verknöcherte es in der römischkatholischen Kirche, indem diese zwar das Meßopfer beibehielt, aber keine Interpretation mehr dafür hat. Das Meßopfer, so gedacht als Fortsetzung des Abendmahls, wie ‘das Aben`dmahl in der Bibel geschildert ist, das gibt natürlich keinen Sinn, wenn man nicht erst einen Sinn hineininterpretiert. Daß gerade das Meßopfer mit seinem wunderbaren Kultus, seiner Nachahmung der vier Mysterienkapitel, eingesetzt worden ist, das geht eben durchaus auf das zurück, daß der auferstandene Christus auch der Lehrer war derjenigen, die diese Lehren in einem höheren esoterischen Sinn empfangen konnten. Für die folgenden Jahrhunderte konnte ja nur bleiben dasjenige, was sozusagen eine Art kindlicher Unterricht war über das Mysterium von Golgatha.
Eine Fähigkeit wurde ausgebildet, die zunächst verhüllte, zudeckte diese Erkenntnis über das Mysterium von Golgatha. Die Menschen sollten erst sich voll befestigen in demjenigen, was mit dem Tod zusammenhängt. Das ist die erste mittelalterliche Zivilisation. Traditionen haben sich erhalten. In manchen Geheimgesellschaften der Gegenwart versammeln sich noch Leute, die in ihren Schriften Formeln haben, die für den, der diese Formeln versteht, der erst die Sache wieder erkennt, durchaus erinnern an dasjenige, was die Lehren waren des auferstandenen Christus an seine eingeweihten Jünger. Aber diejenigen Menschen, die sich heute in allerlei Freimaurergesellschaften und allerlei Geheimgesellschaften vereinigen, sie verstehen ja nicht, was in ihren Formeln lebt, sie haben im Grunde keine Ahnung davon. Man würde aber aus diesen Formeln vieles herauslesen können, weil in ihnen doch in toten Buchstaben manches lebt, nur geschieht es nicht. Aber nachdem die Menschheit eine Weile in ihrer Entwickelung durchgegangen ist durch eine Zeit, die gewissermaßen gegenüber dem Mysterium von Golgatha eine Art Finsternis war, ist heute eben der Zeitpunkt heran gekommen, wo die menschliche Sehnsucht verlangt, nun auch über das Mysterium von Golgatha ein tieferes Wissen zu erlangen. Und das kann nur auf die anthroposophische Art geschehen. Das kann nur da durch geschehen, daß eben ein neues Wissen auftritt, das auf rein geistige Art arbeitet. Da wird man wiederum zurückgelangen zu einem volimenschlichen Verständnis des Mysteriums von Golgatha. Da wird man wiederum verstehen lernen, daß die wichtigsten Lehren der Menschheit gegeben worden sind nicht von dem Christus, der im physischen Leibe lebte bis zum Mysterium von Golgatha hin, sondern nach dem Mysterium von Golgatha von dem auferstandenen Christus. Man wird ein neues Verständnis gewinnen für die Worte eines solchen Eingeweihten, wie Paulus es war: Ist der Christus nicht auferstanden, so ist Euer Glaube eitel. Er wußte seit dem Erlebnis von Damaskus,daß alles darauf ankam, den auferstandenen Christus zu begreifen, die Kraft des auferstandenen Christus mit dem Menschen so zu vereinigen, daß der Mensch dann sagen kann: Nicht ich, sondern der Christus in mir.
Demgegenüber ist es nur allzu charakteristisch, daß ja im neunzehnten Jahrhundert eine Theologie heraufgekommen ist, die von dem auferstandenen Christus überhaupt nichts Rechtes mehr wissen will. Es ist immerhin ein bedeutsames Symptom der Zeit, daß ein für die Theologie angestellter Lehrer in Basel in der Schweiz, Nietzsches Freund Overbeck, als Theologe ein Buch geschrieben hat über die Christlichkeit der heutigen Theologie, in dem er den Nachweis zu bringen versucht, daß diese heutige Theologie nicht mehr christlich ist. Es mag manches Christliche noch geben so meint auch solch ein Versteher des Christentums , die Theologie aber, welche von den christlichen Theologen gelehrt wird, die ist jedenfalls nicht christlich. Das ist so ungefähr die Anschauung des christlichen Theologen Overbeck, und sie ist sehr geistvoll in seinem Buche bewiesen, diese Ansicht.
Es ist eben die Menschheit in bezug auf die Auffassung des Mysteriums von Golgatha so weit gekommen, daß heute am wenigsten zu sagen wissen über dieses Mysterium von Golgatha diejenigen, die offiziell angestellt sind von ihrer Kirche, um über das Mysterium von Golgatha den Menschen etwas zu sagen. Daraus entspringt dann die Sehnsucht, die menschliche Sehnsucht, über das, was jeder doch in seinem Inneren erleben kann, das ChristusBedürfnis, etwas erfahren zu können.
Mancherlei Dienste das ging ja aus den letzten Vorträgen hervor hat Anthroposophie der Menschheit heute zu leisten. Ein wichtiger Dienst wird der religiöse Dienst sein. Nicht eine neue Religion soll gestiftet werden. Mit dem Ereignis, das darin besteht, daß ein Gott durch das Menschenschicksal der Geburt und des Todes gegangen ist, hat die Erde ihren Sinn bekommen so, daß dieses Ereignis niemals überboten werden kann. Nach dem Christentum das ist ganz klar für den, der die Begründung des Christentums kennt kann eine neue Religion nicht mehr begründet werden. Man würde das Christentum unrichtig verstehen, wenn man glauben würde, daß eine neue Religion begründet werden könne. Aber indem die Menschheit selber immer mehr und mehr vorrückt im übersinnlichen Wissen, wird das Mysterium von Golgatha und damit die ChristusWesenheit immer tiefer und tiefer verstanden werden. Zu diesem Verstehen möchte eben gerade Anthroposophie dasjenige beitragen, was in der Gegenwart vielleicht nur sie beitragen kann. Denn kaum kann an einem anderen Ort so gesprochen werden über das Verhältnis in uralten Zeiten der göttlichen Urlehrer der Menschheit, die von allem sprachen, nur nicht von Geburt und Tod weil sie selbst nicht durchgemacht hatten Geburt und Tod und über denjenigen Lehrer, der noch seinen eingeweihten Schülern erschien in der Gestalt, wie die göttlichen Urlehrer der Menschheit erschienen waren, aber an wichtigen Unterweisungen und Lehren gerade die hatte, wie ein Gott miterlebte das Menschenschicksal der Geburt und des Todes. Aus dieser Mitteilung eines Gottes an die Menschheit soll den Menschen die Kraft werden, den Tod, für den sie jetzt sich interessieren müssen, so anzusehen, daß sie sich sagen können: Er ist da, dieser Tod, aber er kann der Seele nichts anhaben. Daß sich die Menschen das sagen können, dazu war das Mysterium von Golgatha da. Paulus wußte: Wäre es nicht da, wäre der Christus nicht auferstanden, so würde in das Schicksal des Leibes, das heißt der Auf teilung der Elemente des Leibes in die Elemente der Erde, die Seele verstrickt werden. Wäre Christus nicht auferstanden, hätte er sich nicht verbunden mit Erdenkräften, dann würde die menschliche Seele sich zwischen Geburt und Tod mit dem menschlichen Leibe so vereinigen, daß mit all den Molekülen, welche mit dem Menschenleibe durch Feuer oder durch die Verwesung mit der Erde sich verbinden, diese Seele sich auch verbinden würde. Es würde einstmals das geschehen, daß am Ende des Erdenwerdens die Menschenseelen den Weg machen würden, den der Stoff der Erde macht. Indem aber der Christus durch das Mysterium von Golgatha durchgegangen ist, entreißt er die menschlichen Seelen diesem Schicksal. Die Erde wird im Weltenall ihren Weg gehen. Aber ebenso, wie von dem einzelnen menschlichen Leibe herauskommen kann die menschliche Seele, ebenso wird die Summe der Menschenseelen sich loslösen von der Erde und einem neuen Weltendasein zugehen können.
In dieser intimen Weise ist der Christus mit dem Erdendasein verknüpft. Nur kann man das erst verstehen, wenn man sich eben so dem Geheimnis nähert.
Es ist vielleicht der Gedanke verbleibend bei manchem: Wie ist es nun mit denjenigen, die nicht an Christus glauben können? Da möchte ich zur Beruhigung am Schlusse noch sagen: Der Christus ist für alle gestorben, auch für diejenigen, die heute sich nicht mit ihm verbinden können. Das Mysterium von Golgatha ist ein Objektives, zu dem Menschenwissen nichts tut. Aber dieses Menschenwissen verstärkt die inneren Kräfte der menschlichen Seele. Und angewendet werden müssen alle Mittel der menschlichen Erkenntnis, des menschlichen Fühlens, des menschlichen Wollens, damit im Laufe der weiteren Erdenentwikkelung auch subjektiv, durch das unmittelbare Wissen, in dem Menschen die Gegenwart des Christus in der Erdenentwickelung vorhanden sei.